5.6 Überziehen und Trudeln
Stalling and spinning
In diesem sehr wichtigen Kapitel werden dir folgende Kenntnisse vermittelt:
- 5.6.1 Strömungsablösung bei steigendem Anstellwinkel
- 5.6.2 Überziehgeschwindigkeit
- 5.6.3 Ablösungsausbreitung über der Spannweite
- 5.6.4 Überziehwarnung
- 5.6.5 Besonderheiten beim Überziehen
- 5.6.6 Trudeln
5.6.1 Strömungsablösung bei steigendem Anstellwinkel
Flow separation at increasing angles of attack
Die Strömung kann der Oberseite des Profils nicht mehr folgen
Wenn du den Steuerknüppel im Flug nach hinten bewegst, erhöht sich der Anstellwinkel. Ein größerer Anstellwinkel sorgt für mehr Auftrieb. Der Anstellwinkel kann nicht unbegrenzt vergrößert werden.
Der Anstellwinkel α ist so groß, dass der Auftrieb A abnimmt und der Widerstand W zunimmt: Das Segelflugzeug ist in einem überzogenen Flugzustand.
Auswirkung der Strömungsablösung
Influence of flow separation
- Verminderung des Auftriebs
- starker Anstieg des Widerstands, Schütteln des Flugzeugs
- Moment um die Querachse
- Falls ein Flügel früher ablöst als der andere, gibt es zusätzlich Momente um die Längsachse und um die Hochachse.
Verminderung des Auftriebs
Starke Erhöhung des Luftwiderstands, Leitwerksschütteln
Moment um die Querachse
Moment um Längsachse und Hochachse
5.6.2 Überziehgeschwindigkeit
The stall speed
xx
Du musst immer damit rechnen, dass die Überziehgeschwindigkeit in folgenden Situationen höher ist als normal
- im Windenstart (erhöhte Flächenbelastung)
- beim Fliegen von steileren Kurven (erhöhte Flächenbelastung)
- beim Fliegen mit nassen oder verschmutzten Flügeln (kleinerer kritischer Anstellwinkel)
- beim Fliegen mit Wasserballast (erhöhte Flächenbelastung)
- beim Fliegen in böiger Luft, z.B. in unruhiger Thermik (schwankender Anstellwinkel)
5.6.3 Ablösungsausbreitung über der Spannweite
The initial stall in span-wise direction
Flügelverwindung (Schränkung)
Geometric twist (wash out)
Häufig ist ein Flügel so konstruiert, dass nach außen hin der Einstellwinkel immer kleinerer wird. Dies nennt man geometrische Schränkung. Wenn der Flügel gegenüber der Anströmung immer mehr angestellt wird, reißt die Strömung nicht überall gleichzeitig ab. Der Anstellwinkel ist am Rumpf am größten und an der Flügelspitze am kleinsten. Den gleichen Effekt kann man durch eine aerodynamische Schränkung erreichen, bei der sich das Flügelprofil zur Flügelspitze hin ändert.
Durch die Schränkung kommt es zuerst in Rumpfnähe zum Strömungsabriss. Du bemerkst das als Leitwerksschütteln und fühlst es am Knüppel. Leitwerksschütteln wird durch die vom Flügel abgehenden Wirbel verursacht, die auf die Leitwerksflächen treffen.
5.6.4 Überziehwarnung
Stall warning
Bevor ein Segelflugzeug abkippt, erhältst du eine Reihe von Warnsignalen:
- Steuerknüppel in stark gezogener Stellung
- Rumpfnase zeigt ungewohnt nach oben
- Fahrtgeräusch nimmt ab
- Ruder werden „weich“ (kleine Steuerkräfte)
-
Leitwerksschütteln
Schütteln
Buffet
Beenden des überzogenen Flugzustandes
Vorsichtsmaßnahmen vor Abkippübungen
Bevor diese Übung durchgeführt wird, müssen folgende Vorsichtsmaßnahmen getroffen werden:
Durchführung
xx
Verfahren zum Beenden des überzogenen Flugzustands
5.6.5 Besonderheiten bei Überziehen
Special phenomena of stall
Steig- und Sinkflugkurven
Climbing and descending turns
Überziehen in einer Schiebekurve
Du sollst in dieser Übung lernen,
- dass eine größere Querneigung eine höhere Geschwindigkeit erfordert;
- dass du aufrecht, mit den Schultern parallel zu den Flügeln sitzen musst;
- die Fluglage zu erkennen, die einem Strömungsabriss in einer Schiebekurve vorausgeht;
- dass du keine Kurven in geringer Höhe fliegen solltest, und wenn unvermeidbar, sie immer koordiniert und mit ausreichender Geschwindigkeit geflogen werden müssen;
- was bei einem Strömungsabriss in einer Schiebekurve passiert;
- wie groß der Höhenverlust ist, ehe du nach dem Abkippen wieder in der Normalfluglage bist.
Wiederhole diese Übung so oft, bis die richtigen Reaktionen automatisch erfolgen.
Der Strömungsabriss in einer Schiebekurve betrifft nur einen Flügel. Es ist der Beginn des Trudelns. Einige Doppelsitzer, wie die ASK21, gehen nicht oder nur sehr schwer ins Trudeln über. Bei anderen Doppelsitzern und vielen Einsitzen erfolgt der Übergang unerwartet heftig. Manchmal tritt davor überhaupt keine Warnung durch Schütteln auf, wie bei normalem Überziehen. In geringer Höhe wäre Trudeln lebensbedrohlich, da du nicht genügend Zeit zum Beenden hättest. Wir werden mit der Übung in so einer Höhe beginnen, dass sie oberhalb von 300 Metern beendet ist.
Durchführung
Prüfe zunächst, ob die Gurte straff angezogen sind und prüfe erneut, ob der Luftraum unter dir frei ist (Verfahren siehe oben). Dann leite eine Kurve nur mit dem Seitenruder ein, der Flügel soll horizontal bleiben. Du bemerkst das Schieberollmoment. Wenn der Flügel horizontal bleiben soll, musst du mit dem Querruder dagegen steuern.
Ziehe dabei den Steuerknüppel immer weiter nach hinten, du wirst immer langsamer (1). Das Flugzeug wird nun „träger“. Mit „träger“ drücken wir aus, dass es schwieriger wird, zu steuern. Das Flugzeug reagiert wegen der niedrigen Geschwindigkeit kaum noch auf die Ruder.
Das Flugzeug ist nun kurz vor dem Strömungsabriss. Der Flügel auf der Innenseite der Kurve wird unter einem größeren Anstellwinkel angeströmt und überzieht zuerst. Wenn die Strömung an diesem Flügel abreißt (2) und am anderen noch nicht, erzeugt der innere Flügel weniger Auftrieb und gleichzeitig deutlich größeren Widerstand. Der Flügel senkt sich, und der größere Widerstand auf dieser Seite leitet eine Drehung ein (3).
Beenden des Abkippens
Bei den ersten Anzeichen eines Strömungsabrisses musst du sofort reagieren
- Beenden des überzogenen Flugzustands in einer Kurve: Sobald du in einer Kurve folgende Anzeichen bemerkst: Nase zeigt nach oben, geringe Geschwindigkeit, weiche Ruder – dann drücke sofort nach. Senkt sich dabei der innere Flügel ab, muss das Querruder trotzdem in Mittelstellung bleiben, bis du Fahrt aufgeholt hast.
-
Wenn der Flügel schnell absackt, das Flugzeug anfängt zu drehen, und Trudeln droht, dann machst du folgendes: Sofort volles Seitenruder gegen die Abkipprichtung, Knüppel in Neutralstellung. Sobald die Drehung beendet ist, Seitenruder neutral (sonst könntest du ungewollt zur anderen Richtung ins Trudeln geraten). Nun kannst du mit Hilfe des Höhensteuers wieder die Normalfluglage einnehmen. Man ist leicht geneigt, beim Abkippen mit dem Querruder gegensteuern zu wollen. Das musst du unbedingt vermeiden.
5.6.6 Trudeln
Spinning
Das Flugzeug fällt vom Himmel und autorotiert dabei um die Hochachsexx
Beachte:
Lese zum Thema Trudeln auch Kapitel 6.7.3 Ausleiten des Trudelns. Dort wird insbesondere auch auf die Trudeleigenschaften und das Entstehen des Trudelns in geringer Höhe ausführlich eingegangen.
Entstehung der Trudelbewegung
spin development
Trudeln ist ein Zustand, bei dem die Strömung an Flügeln und Höhenleitwerk größtenteils abgelöst ist. Nach dem Abkippen über einen Flügel tritt das Flugzeug sehr schnell mit steil abwärts geneigter Nase in eine korkenzieherförmige Bewegung nach unten ein, wobei es sich um seine Hochachse dreht.
Die Gefahr unerwarteten und ungewollten Trudelns besteht darin, dass du durch die ungewohnte Lage des Flugzeugs und die Fliehkräfte, die bei der Drehbewegung auftreten, die Orientierung verlierst. Außerdem geht beim Trudeln und dem anschließenden Abfangen viel Höhe verloren. Wenn du mit deinem Fluglehrer Trudeln regelmäßig übst, erkennst du die Anzeichen viel besser, mit denen sich Trudeln ankündigt, und handelst ohne Verzögerung so, dass das Trudeln schnellstmöglich beendet wird.
xx
Erkennen des Trudelns
spin recognition
Sicherheitscheck
Zuerst machen wir den Sicherheitscheck, der sich auf das Cockpit und auf die Umgebung des Segelflugzeugs bezieht.
- Cockpit: keine losen Gegenstände, Gurte angezogen, Klappen verriegelt und Trimmung für Normalfahrt.
- Umgebung: Wir fliegen zwei Halbkreise, um sicherzustellen, dass sich keine anderen Flugzeuge unter uns befinden. Wir stellen sicher, dass wir genügend Höhe haben, fliegen nicht über bebautem Gebiet oder über Menschenansammlungen, und suchen uns einen Blickpunkt.
Trudeln einleiten (durch den Fluglehrer)
Um uns an das Abkippen des Flugzeugs zu gewöhnen, machen wir zunächst ein paar steile Überziehübungen (Rumpfnase zeigt nach oben). Trudeln wird nur bei ausreichender Höhe ausgeführt. In mindestens 450 m Höhe muss Trudeln beendet und das Segelflugzeug wieder im Normalflug sein.
Durchführung der Trudelübung
- Dein Fluglehrer vermindert langsam die Geschwindigkeit.
- Kurz vor dem Strömungsabriss leitet er mit vollem Seitenruder eine Kurve ein und versucht dabei, den Flügel mit dem Quersteuer horizontal zu halten (Schiebekurve). Der Faden zeigt nun auf den inneren (zurückgebliebenen) Flügel.
- Sobald der innere Flügel absackt, gibt er volles Gegenquerruder (d.h. er versuchst, den hängenden Flügel wieder in die Horizontale zu bringen). Das voll ausgeschlagene Querruder bewirkt einen vollständigen Strömungsabriss am hängenden Flügel. Im Innenbereich war die Strömung schon abgelöst, nun ist das auch an der Spitze der Fall.
- Der Flügel senkt sich weiter und der Luftwiderstand an diesem Flügel nimmt weiter zu, so dass die Drehung beginnt.
-
Die Rumpfnase zeigt steil nach unten, und der Boden scheint sich unter der Nase zu drehen. Du hast das Gefühl, ungebremst abzustürzen. Bei ausreichender Höhe ist dieser Zustand jedoch harmlos und leicht zu beenden.
Beenden des Trudelns
spin recovery
Um Trudeln zu beenden, benutzt du das Seitenruder. Man ist zwar versucht, das Querruder dazu einzusetzen, aber das ist kontraproduktiv. Die Luftströmung über dem größten Teil des inneren Flügels ist bereits abgelöst, das Querruder ist nicht mehr wirksam, ein Ausschlag nach unten würde den effektiven Anstellwinkel nur noch weiter erhöhen.
Trudeln wird so beendet:
- Schlage das Seitenruder entgegen der Drehrichtung voll aus.
- Bringe den Knüppel in Neutralstellung.
- Achte darauf, dass die Querruder neutral stehen.
-
Sobald die Drehung aufhört, nimmst du das Seitenruder in die Neutralstellung zurück und fängst kontrolliert ab
Anmerkung:
In den aktuellen Bauvorschriften für Segelflugzeuge und Motorsegler (CS-22) ist folgende Standardmethode zum Beenden des Trudelns angegeben:
Wo anwendbar, Motor in Leerlauf bringen.
Dann nacheinander:
(1) Neutralstellung der Querruder überprüfen.
(2) Seitenruder entgegen der Drehrichtung des Trudelns betätigen.
(3) Steuerknüppel nachlassen, bis die Drehung aufhört.
(4) Seitenruder in Mittelstellung bringen und nachfolgenden Sturzflug weich abfangen.
Stellt sich bei der Flugerprobung heraus, dass ein hiervon abweichendes Verfahren besser geeignet ist, um das Trudeln möglichst schnell zu beenden, dann ist es im Flughandbuch beschrieben. Bevor du dich in ein unbekanntes Segelflugzeug setzt, musst du im Flughandbuch nachsehen, welche Informationen dort zum Trudeln zu finden sind.
Anker: Strömungsblösungen = Strom5; Überziehgeschwindigkeit = Ziehen1; Ablöseausbreitung = Ziehen2; Überziehwarnung = Ziehen3; Besonderheiten = Ziehen4; Trudeln = Trudeln5